"Aber nicht nur die Absichten beziehungsweise
Ziele, die hinter der Judenvernichtung standen, unterschieden
diesen Völkermord von anderen. Einmalig waren auch die Methoden,
nach denen vorgegangen und die eigens dafür entwickelt wurden.
Die Tötungen liefen nach einem System ab, das den Opfern
ein Maximum an Demütigung und Entmenschlichung zufügte,
bevor sie starben. Dieses System war nicht nur aus Grausamkeit
und Gleichgültigkeit erwachsen: Die vollgestopften Güterwagen
ohne Sauerstoffzufuhr, Sanitäranlagen, Lebensmittel oder
Wasser - viel schlimmer als jeder Viehtransport; die (buchstäblich)
aufgepeitschte Hysterie bei der Ankunft; die sofortige und immer
gewaltsame Trennung von Männern, Frauen und Kindern; das
öffentliche Ausziehen; die unglaublich rohe körperliche
Untersuchung der Ankömmlinge nach versteckten Wertsachen;
das Haareschneiden und Rasieren der Frauen; und am Ende - nackt
und von Peitschen getrieben - die Jagd in die Gaskammern. All
das verfolgte einen eindeutigen Zweck. ...
»Wenn sie sie sowieso umbringen wollten«, fragte
ich Stangl, »warum dann all diese Demütigungen und
Grausamkeiten?«
»Um die, die diese ´Maßnahmen´ ausführen
mussten, vorzubereiten; um sie zu ´konditionieren´«,
antwortete er. »Damit sie das tun konnten, was sie dann
taten.«
Und das, glaube ich, war die Wahrheit.
"
[Quelle ]
Um die Vernichtung dieser Millionen von Männern, Frauen und
Kindern in die Tat umzusetzen, verübten die Nazis nicht nur
physischen, sondern auch geistigen und moralischen Mord: an denen,
die sie töteten; an denen, die die Tötungen ausführten;
an denen die wussten, dass die Tötungen ausgeführt wurden;
und auch - bis zu einem gewissen Grad für immer - an uns
allen, die damals als denkende und fühlende Wesen lebten.